Das Ende der Megamaschine : Geschichte einer scheiternden Zivilisation

Scheidler, Fabian, 2017
Verfügbar Ja (1) Titel ist in dieser Bibliothek verfügbar
Exemplare gesamt 1
Exemplare verliehen 0
Medienart Buch
ISBN 978-3-85371-384-6
Verfasser Scheidler, Fabian Wikipedia
Systematik GW - Geografie und Wirtschaft
Systematik GS - Soziologie,Gesellschaft
Interessenskreis GESCHICHTE
Schlagworte Ökonomie, Geldwirtschaft, Macht, Zivilisation, Ökosystem
Verlag Promedia
Ort Wien
Jahr 2017
Umfang 271 S.
Altersbeschränkung keine
Auflage 9. Aufl.
Sprache deutsch
Verfasserangabe Fabian Scheidler
Illustrationsang Ill.
Annotation Quelle: bn.bibliotheksnachrichten (http://www.biblio.at/literatur/bn/index.html);
Autor: Roman Schweidlenka;
Kritik an der europäischen und amerikanischen Zivilisation. (GW)
Ist es die umfassende gesellschaftliche Krise, die Europa erfasst hat, die nach langer Enthaltsamkeit radikal-kritische Werke zu unserer euramerikanischen Zivilisation auf den Buchmarkt wirft? Werke, wie wir sie aus den späten sechziger und siebziger Jahren des vorhergehenden Jahrhunderts kennen? Vorliegendes Buch bietet eine umfassende und radikale Kritik unserer europäischen und amerikanischen Zivilisation. Nicht dass diese Kritikperspektive etwas gänzlich Neues wäre - sie ist allerdings neu und sachkundig ausgearbeitet und zusätzlich verständlich geschrieben. Die moderne "Megamaschine" ist durch die Geschichte erklärbar; und eben diesen historischen Pfaden folgt der Autor, zeigt die Wurzeln und Keime unserer totalitären Tendenzen, des Willens zur Macht über Erde, Menschen und Völker, wobei er bereits in der Antike fündig wird.
Über die Industrialisierung und den Fortschritt der für den Profit instrumentalisierten Wissenschaften breitete sich der alles erfassende Kontroll- und Machtwahn weiter aus, fraß tiefe Wunden in die Kulturen der "Dritten" Welt und ist heute dabei, die Weltherrschaft zu erlangen. Dass dabei die Demokratie in die Welt getragen wird, wie es das europäische und amerikanische politische Selbstverständnis verheißt, führt Scheidler ad absurdum. Eine Trendumkehr kann für ihn nur durch altbekannte alternative Vorstellungen erfolgen: Selbstorganisation in neu zusammenwachsenden Gemeinschaften, Entmilitarisierung und ein Ende des mentalen Wahns, zum Herrscher und Manipulator der Natur auserkoren zu sein. Ein lesenswertes Buch für alle, die nach tiefschürfenden Informationen über das Wirken unseres Systems suchen und bereit sind, Alternativen jenseits des Mainstreams zu überdenken.

----
Quelle: Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen (http://www.jungk-bibliothek.at/);
Einen den herkömmlichen, auf Nationen bzw. Imperien basierenden Analyseraster (s. Menzel) überwindenden Ansatz wählt der Historiker Fabian Scheidler in seiner Studie "Das Ende der Megamaschine". Der Autor betrachtet die ökonomischen, politischen und militärischen Strukturen von Gesellschaftsformationen in ihrer Wechselwirkung und untersucht insbesondere ihre Auswirkungen auf die Mehrheit der Bevölkerung. Einem herrschaftszentrierten setzt Scheidler sozusagen einen herrschaftskritischen Diskurs entgegen und kommt dabei zu häufig konträren Schlussfolgerungen gegenüber der Mainstream-Geschichtsschreibung. Das Mittelalter erscheint in dieser Sichtweise als die am wenigsten gewalttätige Epoche, weil die Herrschenden über vergleichsweise wenig ökonomische Macht verfügt hätten, die sie in kriegerische Auseinandersetzungen kanalisierten konnten. Die mit dem internationalen Handel aufblühenden Epochen der frühen Neuzeit sowie des Kolonialismus werden dagegen als von Gewalt durchtränkt dargestellt. Scheidler bringt die Kriege um die Vorherrschaft in Europa sowie in der Welt im Zuge der Nationenbildung mit der Entstehung des Frühkapitalismus in Verbindung - die Söldnerheere der Feudalherren waren ja mehrheitlich von Handelsleuten und der neuen Berufsgruppe der Banker finanziert; Wallenstein bezeichnet Scheidler als den damals weltweit größten Warlord, der basierend auf dem "metallurgisch-militärischen Komplex" ein finanzkräftiges Rüstungsunternehmen aufgebaut habe; die dunkle Geschichte des Sklavenhandels wird dabei ebenso als Teil der Expansionsmaschinerie gesehen wie die Ende des 18. Jahrhunderts beginnende Industrialisierung ausgehend von England, wo die Dampfmaschine und die diese ermöglichende Kohleförderung in großem Stil erfunden wurden. Die Rekrutierung des Industrieproletariats für die Fabriken sei dabei nicht weniger mit staatlichem Zwang erfolgt als jene für die neuen Nationalarmeen im Zuge der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht.
Die Industrialisierung der Sowjetunion ordnet Scheidler ebenfalls dem Projekt der expansionistischen Megamaschine zu. Und die "faschistische Option" in Deutschland und Italien deutet er als Antwort auf antisystemische Bewegungen, die mittels "gelenkter Demokratie" nicht mehr kontrollierbar waren. Den Faschismus bezeichnet der Autor als neuen "Steuerungsmodus für die Große Maschine", der zwar zunächst von liberalen Kreisen abgelehnt, letztlich aber von der Großindustrie befürwortet wurde. Nicht nur deutsche Konzerne des Chemie-, Maschinen- und Bankensektors hätten die Wahlkämpfe der NSDAP unterstützt und von der Kriegswirtschaft profitiert, sondern auch internationale Industrielle - Scheidler nennt den "Antisemiten" Henry Ford, der 1938 die höchste deutsche Reichsauszeichnung erhalten und neben Franco auch die Deutsche Wehrmacht "bis weit in die 1940er-Jahre" beliefert hätte (S. 171).
Megamaschine an ihren Grenzen?
Die bislang letzte große "Metamorphose" von 1945-2015 überschreibt Scheidler mit "Nachkriegsboom, Widerstandsbewegungen und die Grenzen des Systems" (173ff.). "Arbeit und Kapital hatten sich die Hand gereicht und Frieden geschlossen, um gemeinsam den Fortschritt der Menschheit voranzubringen" (S. 174), so der Autor. Dass dies nur sehr begrenzt gelungen ist, beweist die Geschichte. Scheidlers Ausführungen auch zu dieser Epoche sind spannend und voll von zeitgeschichtlichen Details - vom atomaren Wettrüsten über die Antikolonialisierungsbestrebungen und die 1968er-Bewegung (und wie die politischen und wirtschaftlichen Eliten dagegen vorzugehen versuchten) bis zu den Neuen Sozialen Bewegungen der 1980er-Jahre sowie der ihr folgenden Phase eines neoliberalen Rollbacks mit der Zurückdrängung der Wohlfahrtsstaaten, der Verschuldungsspirale und den neuen Ressourcenkriegen, deren Folgen bis heute andauern (s. a. Zumach).
Scheidlers These lautet, dass die "Megamaschine" nun an ihre Grenzen stoße: "Obwohl einige standhafte Gläubige noch immer mit leuchtenden Augen die Verheißungen von Großtechnologie und freien Märkten verkünden, ist doch der Zusammenbruch des Fortschrittsoptimismus, der die westliche Zivilisation 200 Jahre geprägt hatte, nicht zu übersehen." (S. 197) Die Zunahme von Konflikten, etwa das Scheitern im Nahen Osten, die Schuldenblasen sowie als "ultimative Grenze" der Planet (insbesondere Böden und Wasservorräte) gelten dem Autor dabei als Indizien. "Niemand kann voraussagen, was geschehen wird, wenn Regierungen vor der Wahl stehen, entweder ihrer Industrie Wasser und Strom abzudrehen oder der eigenen Bevölkerung. In jedem Fall ist unter diesen Bedingungen, zwischen Blackout, humanitärer Katastrophe und Revolte, ein stabiles Systemmanagement nicht mehr zu denken." (S. 202)
Der "Ausstieg aus der Megamaschine" sei offen: "Ob sich am Ende neue autoritäre Systeme, Mafia- und Warlord-Netzwerke oder Strukturen demokratischer Selbstorganisation durchsetzen, wird davon abhängen, wie wir auf die systemischen Brüche, die bevorstehen, vorbereitet sind." (S. 205) Der Wandel sei mit ein paar neuen Leitplanken für die Wirtschaft nicht zu schaffen: "Immer mehr Menschen dämmert die Erkenntnis, dass eine ernsthafte sozial-ökologische Wende nur zu haben ist, wenn wir mit dem Ausstieg aus der Logik der Kapitalakkumulation beginnen." (S. 209). Die "Schrumpfung des metallurgisch-fossilen Komplexes" durch eine Energiewende sowie die Unterstützung von Blockaden des Ressourcenabbaus in den Ländern des Süden, der "Kampf gegen die strukturelle Gewalt der Schulden" (durch Verweigerung der Schuldenzahlung und/oder durch hohe Vermö 972 gensabgaben) sowie schließlich "neue Wege der Selbstorganisation von unten" sieht Scheidler als zentrale Aktionsfelder. Die zahlreichen in den letzten Jahrzehnten entstandenen Initiativen streuen Sand ins Getriebe der Akkumulationsmaschine; auch wenn sie heute noch als "Kampf gegen Windmühlen" erscheinen mögen, seien die hier gemachten Lernerfahrungen entscheidend, sobald die Krisen sich noch weiter zuspitzen, versteht auch Scheidler sich als Anhänger einer Strategie des Bauens an "Inseln für der Übergang". Ein spannendes Buch, auch wenn die These vom Zusammenbruch des Kapitalismus zu diskutieren ist. Hans Holzinger