Durch die Zeit in meinem Zimmer : Roman

Goubran, Alfred, 2014
Verfügbar Ja (1) Titel ist in dieser Bibliothek verfügbar
Exemplare gesamt 1
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Medienart Buch
ISBN 978-3-99200-104-0
Verfasser Goubran, Alfred Wikipedia
Systematik DR - Romane, Erzählungen
Interessenskreis LITERATUR / BELLETRISTIK
Verlag Braumüller
Ort Wien
Jahr 2014
Umfang 196 S.
Altersbeschränkung keine
Auflage 1. Aufl.
Sprache deutsch
Verfasserangabe Alfred Goubran
Annotation Quelle: Literatur und Kritik;
Autor: Cornelius Hell;
Kammerstück, gekonnt
Alfred Goubrans Roman "Durch die Zeit in meinem Zimmer"
Will man als Literaturkritiker etwas für ein Buch und noch mehr für die eigene Marke tun, so rufe man das Buch zum besten der Saison oder des Jahres aus. Oder noch besser: seinen Autor als den größten des Landes - dann kommt man nämlich ziemlich sicher auf das nächste Buchcover. "Goubran ist ein brillanter Autor - vielleicht der größte, den Österreich derzeit zu bieten hat", liest man auf der Rückseite des Romans "Durch die Welt in meinem Zimmer" von Alfred Goubran. Dieses wuchtige Urteil stammt vom Herausgeber des Gratismagazins "The Gap". Jetzt kennt man ihn endlich auch als kompetenten Literaturkritiker - schließlich wird er als wichtigste Stimme zu Alfred Goubran zitiert. Manchmal ist der Kulturbetrieb wirklich ein selbstreferenzielles System.
Liest man den Roman, so stellt man fest: Er hat auf jeden Fall Charme und bereitet Lesevergnügen. Das liegt zuerst einmal an den mit leichten Strichen gezeichneten Außenseiter-Typen, allen voran der Hauptfigur Elias, einem Schulabbrecher, der in der Ein-Zimmer-Wohnung seines Vater wohnt und sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält, bis er plötzlich unvorhergesehen zu Geld kommt (ein Bekannter hat ziemlich viel Haschisch bei ihm deponiert und nicht abgeholt) und Hals über Kopf in den Süden reist. Am Weg wird er jedoch von Schneeverwehungen und einem Felssturz gestoppt, will trotz aller Warnungen allein einen Pass überqueren, verirrt sich, und so verschlägt es ihn in ein Dorf und auf das "Schwarze Schloss". Die Reise in diese sorgsam arrangierte Archaik wird immer surrealer, und je weiter man liest, umso ungewisser wird es, ob sie überhaupt stattgefunden hat.
Der Roman hat nämlich zwei Stränge: einen, der realistisch daherkommt, und einen kursiv gesetzten, der Fieberphantasien in Szene setzt. Der Clou dabei ist, dass ersterer zu Beginn dominiert und bis zum Ende in der Außenperspektive erzählt wird, während der zweite irgendwann in die Ich-Perspektive kippt und sich mit dem ersten überschneidet, bevor er ihn quasi unter sich begräbt. Diese Konstruktion, die ihre Lektion bei der Romantik gelernt hat, bewirkt, dass die Grenzen von Phantasie und Realität ins Schwimmen geraten und vieles darauf hindeutet, dass die ganze Reise eine Fieberphantasie ist. Wie das gemacht ist - Chapeau! Dieser Autor kann erzähltechnisch etwas, und er handhabt sein Können nicht, um ein Mainstream-Buch zu schreiben.
Das mit dem vielleicht größten Autor, den Österreich derzeit zu bieten hat, ist dennoch maßlos übertrieben. Das kann man nur hinausposaunen, wenn man weder ein Lebenswerk voller erzähltechnischer Raffinessen wie etwa das von Peter Henisch kennt noch konsequente Spracharbeiter wie zum Beispiel Thomas Stangl zur Kenntnis nimmt. "Durch die Zeit in meinem Zimmer" ist ein Kammerstück, das nicht wenig zu bieten hat, aber die Welt nicht aus den Angeln hebt und von dem eher einzelne Szenen und Figuren in Erinnerung bleiben als unverwechselbare Sätze. Es ist nicht naiv erzählt und immer wieder mit Zitaten garniert, die jedoch manchmal ziemlich beliebig sind: Im Fall von H. C. Artmann etwa taucht nur der schöne Titel "How much, Schatzi" auf, ohne erkennbaren Bezug zu diesem Text. An wenigen Stellen sackt der Erzähler leider auch ins Phrasenhafte ab: "Das Leben, das wir führen, ist gewählt. Keine Prägung ist zwingend." Könnte das nicht auch in einer konservativen Bildungsbroschüre stehen, die mit ihrer naiven Konzeption des Individuums alle Last dem einzelnen aufbürdet, um das Wirtschaftssystem und die Sozialmechanismen ungestört funktionieren zu lassen? Und die flott geschriebenen Invektiven gegen die Gewohnheitsmenschen und Kleinstadtbewohner liest man gewiss gerne, aber fühlt man sich dabei nicht zu billig auf der richtigen Seite? Und wurde dieses Kleinbürgertum literarisch nicht schon zu oft denunziert? Vor allem aber: Sind diese Menschen selbst nicht mehr Opfer des "normalen" Arbeits- und Lebensprozesses als dessen Träger, als die sie der Roman en passant erscheinen lässt?
Bei dieser Kritik ist freilich die Einschränkung angebracht, dass der Roman keine Gesellschaftsdiagose sein will. Er will überhaupt nichts, er lässt den anfangs so einfach wirkenden und dann immer raffinierter verflochtenen Erzählmäandern ihren freien (aber nicht beliebigen!) Lauf, und das macht seine Qualität aus, die man manchem anderen Prosaband durchaus wünschen würde. Darum wird es auch niemand bereuen, dieses Buch gelesen zu haben. Eher sitzt er oder sie am Ende verwirrt da, sucht die Fäden zu entwirren und beginnt noch einmal von vorne zu lesen. Und das schaffen doch bei weitem nicht alle Bücher.

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Quelle: Pool Feuilleton;
Hat ihre Reise ein Ziel? - Ich war noch nie am Meer.
In Alfred Goubrans Roman einer Reise lösen sich gleich von vorne herein logische Ketten auf in schmucklose Perlen des Widerstands gegen den puren Ablauf von Zeit. Der Roman ist grob auf zwei Schienen gesetzt, die freilich auf unterschiedlichen Gleisbetten unterwegs sind. Einmal fiebert ein Ich in kursiver Schrift durch das Zimmer und wird von Vater-Träumen und implodierter Kindheit heimgesucht, zum anderen tritt Elias eine Reise an die Grenze an, die in einem schwarzen Schloss endet.
Das Ich träumt die meiste Zeit in einem Essay-Stil, denn die Träume sind durchaus als Versuch angelegt, die Welt mit kleinen Gedankenumkreisungen zu begreifen. Oft bleibt ein Bild hängen wie in schlechtem Vinyl und lässt sich nicht weiterlupfen. Da betritt wieder einmal der Vater unangemeldet das Kinderzimmer, sagt wohl etwas, das untergeht, weint und spielt ein paar Zentimeter mit einem Spielzeug. Das Kind sieht zum ersten und einzigen Mal den Vater spielen, wenn auch nur als Andeutung.
Nicht viel anders ergeht es Elias in der sogernannten Aufbruchswelt der Reise. Er bleibt unter einem Pass hängen, der immer wieder geschlossen werden muss, kaum dass ihn der Postbus erklimmen will. In der Welt eines entlegenen Verschiebebahnhofs ohne Züge bereitet sich der Riesende auf die Fahrt ans Meer vor, die freilich mitten im Einheimischen-Geröll endet. In einem Ambiente wie bei Kafkas Schloss taucht dann der alte Ansitz der Schwarzkogler auf, die Bedienstete heißt selbstverständlich Franziska und führt den Gast dann zu einer Frau, die ihn zum Warten in eine desorganisierte Bibliothek schickt. Dort liest der Eindringling etwas über "Mein Leben im Busch der Geister".
Vielleicht ist das alles ein Erinnerungsimplantat (196), denkt sich das Ich und schließt sich geistig wieder im Zimmer ein.
Alfred Goubran erzählt wie in einer Moebius-Schleife vom Eingeschlossen-Sein in die eigenen Gedanken und dem Ausbrechen ohne schlüssiges Ziel. Vieles liegt in der Tiefe einer Erinnerungsträchtigen Kindheitsschicht, die jetzt im Fieberschub einer geheimnisvollen Krankheit gefrackt werden kann. Die Krankheit kann als Erinnerung Fieber auslösen, in der erinnerten Realität zeigt sie sich als Stück "Verrindung" der Haut, die ein Gesicht entstellen oder zumindest Sehnsuchtsuntauglich machen kann. Je mehr der Leser an bisher Gelesenem beisteuern kann, umso sattelfester und robuster wird die Geschichte, denn Alfred Goubran erzählt die Absätze immer spitz und hält sie dem Leser wie Pflöcke hin, die dieser dann selbst in sein Lesegefüge einschlagen muss. - Eine hoch diffizile, höchst intellektuelle Angelegenheit.
Helmuth Schönauer